Was geht nur in deinem Kopf vor, Kind?
Ein Perspektivwechsel
Wenn das eigene Kind plötzlich und unerwartet von „Studienabbruch“ spricht, vermehrt den Studiengang wechselt oder etwas studiert, das mit keinem klaren Berufsziel einhergeht, kann dies dazu führen, dass sich Eltern um die Zukunft ihres Kindes sorgen. Manchmal entsteht dann der Eindruck, der Nachwuchs mache sich keinerlei Gedanken, was er mit seinem Leben anfangen – geschweige denn, wie er seinen Lebensunterhalt bestreiten möchte. Meist steckt jedoch mehr dahinter; Studienzweifel sind ein sehr komplexes und oft belastendes Thema für Studierende. Mit welchen Fragen und Problemen sie in dieser Zeit zu kämpfen haben und wie Eltern sie bestmöglich unterstützen können, erfahren Sie hier!
Übersicht:
„Was ist eigentlich das Problem?“
„Wieso redet mein Kind nicht mit mir?“
„Was soll nur aus meinem Kind werden?“
„Spielt meine Meinung denn gar keine Rolle mehr im Leben meines Kindes?“
„Was ist eigentlich das Problem?“
Umwege im Lebenslauf und berufliches Scheitern sind in einer erfolgsorientierten Leistungsgesellschaft immer noch Tabuthemen. Wer im Leben erfolgreich sein will, der soll auch zielstrebig Karriere machen – so das Credo. Über einen Studienabbruch oder -wechsel, der gedanklich nur schwer mit der erwarteten Zielstrebigkeit und Anstrengung zusammenpasst, wird eher ungern gesprochen – sei es in der Öffentlichkeit oder im familiären Umfeld. Selbst Eltern untereinander sparen das Thema im gegenseitigen Austausch häufig aus, um unangenehme Gefühle zu vermeiden. Wieso es dennoch hilfreich sein kann, offen mit den beruflichen Umwegen der eigenen Kinder umzugehen, hat uns eine Mutter im Interview erzählt: Zum Interview.
Zugegebenermaßen als Elternteil kann man sich schon einmal die Frage stellen, wo eigentlich das Problem liegt. Man selbst hat wahrscheinlich auch einen Studien- oder Berufsabschluss erlangt, um danach auf eigenen Beinen zu stehen und Geld zu verdienen. Und wenn nicht, ist die Hoffnung auf eine erfolgreiche Zukunft des Kindes vielleicht umso größer. Ist die Tochter oder der Sohn vielleicht einfach zu unentschlossen, undiszipliniert, desinteressiert? So einfach ist es (leider) nicht. Stefanie Winde war lange Zeit als Studienberaterin tätig und hat Erfahrungen im Umgang mit Studienabbrecher*innen und -wechsler*innen:
„Das Ganze sollte erlaubter sein, wir müssen enttabuisieren, um deutlich zu machen: Es ist schwer, das Richtige zu finden: Manchmal muss man sich ausprobieren. Es macht – aus meiner Sicht – auch keinen Sinn etwas durchzuziehen, was überhaupt nicht zu einem passt. Gesellschaft, Eltern, Großeltern, Freunde – geben häufig das Gefühl, man müsse Dinge durchziehen. Es sehe nicht gut im Lebenslauf aus. Das sehe ich ganz anders. Wir müssen die Gesellschaft mitnehmen und sagen: Das ist durchaus o.k.“
Stefanie Winde | erfahrene Studienberaterin
Junge Menschen, Studierende und besonders Studienzweifler*innen leiden oft unter Leistungsdruck und den gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden. Sie sorgen sich nicht nur um ihre berufliche Zukunft, sondern auch darum, wie ihr beruflicher Werdegang auf andere Menschen wirkt. André hat gleich mehrere Studiengänge ausprobiert, bevor er sich für eine Ausbildung entscheidet. Dass er durch seine Neuanfänge beruflich weniger fortgeschritten ist als Gleichaltrige, ist ihm unangenehm.
„,Was machst du mittlerweile eigentlich?‘ ist für mich heute eine der unangenehmsten Smalltalk-Fragen von Leuten, die ich länger nicht gesehen und gesprochen habe. Dieses Gefühl, dass man in seinem Alter beruflich schon viel weiter sein müsste und das Gegenüber einen deswegen vielleicht weniger respektiert. Doch ist diese Angst berechtigt? Ich bin der Meinung, dass diese Angst zwar irrational, aber dennoch in vielen Köpfen präsent ist. Faktisch lebe ich in einer Generation, in der sich sehr viele junge Menschen orientierungslos und unsicher auf dem Arbeitsmarkt bewegen.“
André | Studienabbrecher und auszubildender Kaufmann für Büromanagement
Nach dem Abitur steht für André, wie für viele junge Menschen fest, dass er ein Studium beginnt. Dass Studieren generell nichts für ihn ist, wird ihm erst an der Hochschule klar; die Alternative einer Ausbildung zieht er zu Schulzeiten gar nicht erst in Betracht – es fehlen grundlegende Informationen zu den Möglichkeiten und Chancen einer Ausbildung. Vielen Schüler*innen mangelt es nach dem Schulabschluss an Studien- und Berufsorientierung, sie haben kaum praktische Erfahrungen in ihrem Leben gemacht oder sich intensiv mit ihren Stärken und Schwächen auseinandergesetzt. Gerade an Gymnasien, die auf die Hochschulzugangsberechtigung vorbereiten, werden verschiedene Ausbildungsberufe nur selten vorgestellt und so liegt es für orientierungslose Absolvent*innen nahe, ein Studienfach zu wählen, das den vertrauten Schulfächern ähnelt.
Unsicherheit, was die eigene Studien- und Berufswahl betrifft, ist für junge Menschen daher keine Seltenheit und die Vermeidung derartiger Themen ist oft mit einer Überforderung – weniger mit einem generellen Desinteresse verknüpft. Auch Florian war unglücklich in seinem Studium, schiebt die Auseinandersetzung damit jedoch eine Weile auf.
„Nach so ein paar Semestern kam die Frage: ,Ja, bisse mal fertig?‘ Ich habe auch angeblich ganz viele Klausuren geschrieben, die ich irgendwie doch nicht geschrieben hatte. Und das ist der Punkt: Was bringt einen dazu die eigene Familie zu bescheißen und zu behaupten, ich würde Klausuren schreiben, zu denen ich überhaupt nicht hingehe?“
Florian | Studienwechsler von Bauingenieurswesen zu Ostasienwissenschaften
Manchmal kommt der empfundene Leistungsdruck nicht vom gesellschaftlichen Umfeld, sondern von den hohen Anforderungen an sich selbst und der Angst vorm Versagen. Der Gedanke, einen Studiengang nicht erfolgreich zu Ende zu führen, etwas Begonnenes abzubrechen, ist mit Scham besetzt. Daher ist es gut möglich, dass Kinder erst spät oder gar nicht mit ihren Eltern über ihre Zweifel sprechen.
„Wieso redet mein Kind nicht mit mir?“
Leider kommt es nicht selten vor, dass Eltern und Familienmitglieder überraschend mit den Studienabbruchgedanken ihres Kindes konfrontiert werden, weil dieses erst spät den Mut findet, mit ihnen zu sprechen. Einerseits werden die Abbruchgedanken auf diese Art und Weise konkreter, andererseits besteht auch die Angst, die Familie zu enttäuschen – gerade, wenn diese Geld in das Studium investiert hat und ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht.
„Es war tatsächlich ein schwerer Schritt für mich, meiner Mutter und meinen Großeltern zu offenbaren, dass ich das Studium abbrechen möchte. Ich hatte Angst davor. Und dadurch, dass es eine Privatuni war, sind natürlich auch einige Kosten auf uns zugekommen. Aber meine Mutter hat das total entspannt aufgenommen. Sie hat zu mir gesagt ,Warum hast du dir denn so einen Kopf gemacht? Du bist doch keine Versagerin, nur weil du dein Studium abbrichst.‘“
Anna | Studienabbrecherin und heutige Personaldienstleistungskauffrau
„Ich hatte erst einmal Angst vor der Reaktion meiner Eltern, weil es ja jetzt nicht alltäglich ist, dass man seinen Studiengang wechselt. Meine Mama war am Anfang ein bisschen skeptisch, aber im Endeffekt waren beide sehr unterstützend. Und das war schon sehr wichtig für mich. Wenn man Eltern hat, die hinter einem stehen, dann fällt alles auch viel leichter.“
Ceyda | Studienwechslerin von Soziologie zu BWL
Hilfreich ist in diesem Fall vor allem die Gewissheit, dass das Verhältnis zu den Eltern nicht auf dem Spiel steht oder nachhaltig belastet wird. Schwierig kann es werden, wenn die Eltern selbst Einfluss auf die Studienwahl ihres Kindes hatten, sodass das Einschlagen eines neuen Weges, auch die Abkehr von den elterlichen Wunschvorstellungen bedeutet.
„Es kommt gar nicht selten vor, dass die Eltern einen Einfluss auf die Studienwahl hatten, dass man sich eher für das Fach entschieden hat, das die Eltern gut finden und sich vielleicht nicht getraut hat, den heimlichen individuellen Traum zu leben. Das richtige Studienfach oder einen passenden Ausbildungsberuf zu finden, kann für Studienzweifler*innen ein langer Prozess sein. Es kommt auch darauf an, wie unterstützend die Eltern dann sind. Manche Eltern haben das vielleicht auch nicht gemerkt oder nicht bewusst die Entscheidung beeinflusst.“
Theresa Fabian | Studienberaterin mit dem Schwerpunkt Studienzweifel & Studienabbruchgedanken
„Was soll nur aus meinem Kind werden?“
Häufig ist der Studienabbruch mit der Sorge verknüpft, dass dadurch die Berufschancen des Sohnes oder der Tochter sinken. Tatsächlich jedoch sind Umwege und Lücken im Lebenslauf längst kein Ausschlusskriterium mehr bei der Bewerbung. Viele Unternehmen sind sogar aufgeschlossen gegenüber Studienaussteiger*innen, da diese als potenzielle Auszubildende oder Fach- und Führungskräfte entscheidende Vorteile mit sich bringen:
- Sie verfügen über eine gute fachliche Qualifikation durch ihre Hochschulreife und das Wissen, das sie bereits im Studium erlangt haben.
- Sie zeichnen sich durch Reife und Lebenserfahrung aus.
- Sie wissen genau, was sie wollen und was sie nicht wollen.
- Sie sind durch ihre zweite Chance oftmals besonders motiviert und engagiert.
Studienabbrecherin Anna hat beispielsweise große Angst vor einem Vorstellungsgespräch nach ihrem Studienabbruch und fragt sich, wie ihr vermeintliches Scheitern im professionellen Kontext wirkt:
„Dieses Gefühl hat sich im Gespräch aber komplett gewandelt, weil sie mich von einer ganz anderen Perspektive gesehen haben, nämlich dass es viel mit sich bringt, wenn man schon einmal studiert hat. Wir haben darüber gesprochen, dass ich mein Studium abgebrochen habe. Warum und wieso? Sie fanden das aber überhaupt nicht negativ, sondern eher positiv. Das hat gut gepasst und dann wurde ich dort auch für die Ausbildung eingestellt.“
Anna | Studienabbrecherin und heutige Personaldienstleistungskauffrau
Falls Sie sich über die Berufschancen Ihres Kindes informieren möchten, finden Sie hier eine Podcastfolge, in der unterschiedliche Akteur*innen auf dem Arbeitsmarkt zur Wort kommen:
Studienzweifel? – Der Podcast: Berufsperspektiven nach dem Studienabbruch
Darüber hinaus ist es wichtig zu bedenken, dass die berufliche Qualifikation nach dem Studium nicht abgeschlossen ist, die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes erfordern eine ständige Weiterentwicklung und Fortbildung der Arbeitnehmer*innen. Während man früher oftmals 30 Jahre oder länger in ein und demselben Beruf gearbeitet hat, verändern sich Berufsbilder zunehmend, neue Fähigkeiten und Kenntnisse sind gefragt. Daher ist ein Wechsel der Tätigkeiten in Zukunft immer üblicher, Flexibilität gewinnt an Bedeutung. In einem Studium geht es oftmals gar nicht so sehr um das Fachwissen, das mit einem bestimmen Abschluss einhergeht, sondern um generelle Skills, wie die Fähigkeit, sich neues Wissen anzueignen. Daher ist ein begonnenes Studium niemals bloß als „verschwendete Zeit“ zu betrachten.
Wenn Ihr Kind unzufrieden ist mit seinem Studiengang und diesen abbrechen möchte, sollten Sie als Elternteil also nicht verzweifeln, sondern gemeinsam mit ihm nach vorne schauen und nach einem Plan B Ausschau halten. Falls ihr Kind noch keine Idee hat, unterstützen Sie es bei der Suche.
„Der Studienabbruch war für meine Familie nicht so gravierend, weil es eben einen Plan B gab. Wenn ich gesagt hätte, ich mache jetzt gar nichts oder ich gucke mal, dann wäre es wahrscheinlich schon ein Problem gewesen. Weil es aber diesen Plan B gab und ich auch schon zur Meisterschule angemeldet war, war das keine große Sache.“
Hanno | Studienabbrecher, von der Tischlerlehre übers Designstudium zurück zum Tischlermeister
„Spielt meine Meinung denn gar keine Rolle mehr im Leben meines Kindes?“
Was macht man denn damit später mal beruflich, wie lange will er/sie noch studieren, wäre es nicht besser den einen Studiengang abzuschließen bevor man den nächsten beginnt? Das sind nur einige von vielen Fragen, die sich Eltern stellen, wenn ihr Kind kein geradliniges, zukunftsgerichtetes Studium absolviert. Oft ist auch der Gedanke „Ich will nur dein Bestens und weiß, was für dich gut ist.“ ein wichtiger Motivator für Eltern. Da kann der Umstand, dass Studierende ihre Eltern vor vollendete Tatsachen stellen und eigene Entscheidungen treffen, zu Frust und Unverständnis führen. Auf der anderen Seite sollte auch niemand zum Studieren überredet werden: Ein Studium ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Disziplin, Motivation und auch Interesse voraussetzt – ohne wirkliche Begeisterung und intrinsische Motivation, lässt sie sich kaum bewältigen. Außerdem möchte man als Elternteil ja auch nicht, dass das Kind später einer Tätigkeit nachgeht, die ihm überhaupt nicht liegt.
Zum Abschluss: Ein wenig leichter lässt sich die Selbstständigkeit und eventuelle Starrköpfigkeit des jungen Erwachsenen ertragen, wenn man folgende Zitate von Studienwechsler- und abbrecher*innen liest. Sie zeigen das Interesse an der Meinung und Unterstützung der Eltern – ebenso wie eine eigene Vorstellung der beruflichen Zukunft:
„Meine Mama ist immer noch der Meinung, ich werde irgendwann Lehrerin. Aber meine Eltern haben mir da eigentlich freie Hand gelassen. Sie haben sich immer wieder darüber informiert, wofür ich mich interessiere, aber es war jetzt nicht so, dass sie irgendwelche Vorschläge gemacht hätten – was ich auch gut fand, weil ich zu viel Angst gehabt hätte, dass ich mich davon beeinflussen lasse. Die Meinung der Eltern ist natürlich wichtig für einen. Deswegen finde ich es auch gut, dass sie gesagt haben ,Hauptsache du bist glücklich mit dem was du machst.‘“
Ceyda | Studienwechslerin von Soziologie zu BWL
„Familiär war der Studienwechsel für mich eigentlich kein Problem. Meine Großeltern fanden es gut, bei meinen Eltern war es etwas schwieriger. Mein Vater ist selbst Ingenieur gewesen – den hätte es natürlich gefreut, wenn sein Sohn auch Ingenieur geworden wäre. Jetzt ist er mit dem Beruf, den ich mache, eigentlich sehr, sehr glücklich – er fragt auch immer und will alles wissen, was wir so machen. Meine Mutter war noch ein bisschen vorsichtiger, was das anging. Sie hat sich natürlich viele Sorgen gemacht und immer wieder gefragt ‚Ist das denn das Richtige, was du machen willst?‘“
Jan Niklas | Studienwechsler von Sicherheitstechnik zum Kommissaranwärter bei der Polizei
„Selbstverständlich kriegen Eltern das mit. Und man muss sich mit denen unterhalten oder man möchte es auch, weil immerhin sind es die Eltern. Die haben das Ganze vielleicht auch schon einmal durchgemacht oder ähnliche Erfahrungen und können einem weiterhelfen. Und sie haben gar nicht negativ reagiert, sondern geguckt, dass sie produktiv helfen.“
Luca | Studienabbrecher & Auszubildender Mediengestalter Bild & Ton