Was, wenn ich nicht gut genug bin?

Von Zweifeln und dem Verzweifeln am Schreiben

Die erste wissenschaftliche Hausarbeit zu verfassen ist keine leichte Aufgabe. Oftmals wird viel Zeit darauf verwendet, ein passendes Thema zu finden und nach dem Durcharbeiten umfangreicher Fachliteratur wächst die Hürde, mit dem Schreiben zu beginnen. Auch Jakob kämpft in seinem Studium mit Schreibblockaden, den hohen Anforderungen an sich selbst und Zweifel an den eigenen Fähigkeiten – so sehr, dass er überlegt, sein Studium aufzugeben. Wie er den Knoten schließlich löst und wieder handlungsfähig wird, berichtet er im Blogbeitrag.

Die Erwartung des Studiums als Eröffnung neuer Lebens- und Wissenshorizonte hat mich durch meine Schulzeit gebracht. Es symbolisierte den Ausbruch aus der konservativen Kleinstadt meiner Kindheit und Jugend. Ich schrieb mich 2009, nach meinem Abitur, voller Enthusiasmus an der Universität zu Köln für den Bachelorstudiengang Philosophie und Geschichte ein. Ich entschied mich für diese Fächer, weil ich mir von ihnen einen umfassenderen, kritischeren Blick auf diese Gesellschaft erwartete. Diese Hoffnung wurde mir an der Universität schnell genommen. Ich kämpfte mich durch trockene Einführungsveranstaltungen, an deren Ende das Auswendiglernen von Daten aus 500 Jahren geschichtlicher Epochen standen.

„Ich zweifelte daran, ob das Studium das richtige für mich ist, da alles, was ich auf den ersten Blick sah, nicht meinen Vorstellungen einer geschichtskritischen und diskursoffenen Wissenschaft entsprach.“

Doch nach einigem Suchen entdeckte ich auch Orte im Hochschulkontext, die mein Interesse weckten, weil dort kritisch Wissenschaft betrieben wurde. Ich fand sie häufig außerhalb meiner Studienfächer und belegte Kurse neben meinen Pflichtveranstaltungen. Ich war fasziniert von den Texten Michel Foucaults, Rosi Braidottis oder Donna Haraways. Das Diskutieren und Durchdenken dieser Ansätze machte mir Spaß, versöhnte mich mit den anderen Studieninhalten, weil sie mir einen neuen Blick auf die Pflichtveranstaltungen ermöglichten. Mir wurde klar, dass meine Studienfächer mich interessierten, auch wenn sie nicht vollständig mit meinen Erwartungen zusammenpassten.

Während ich in den ersten Semestern also lernte, die Inhalte meines Studiums zu finden, die mich interessierten und die Uni als Ort für mich entdeckte, fiel es mir auf der anderen Seite extrem schwer, bestimmte Prüfungsleistungen zu erfüllen. Referate, die mündliche Beteiligung an Seminaren und Klausuren waren für mich zwar nicht unbedingt leicht, aber ich konnte mit diesen Anforderungen sicher umgehen. Ich studiere jedoch, wie es in den meisten Geisteswissenschaften üblich ist, zwei Studienfächer, die in ihren Prüfungsformen das eigenständige Schreiben von Essays und Hausarbeiten fokussieren.

Seit meinem ersten Versuch, eine Hausarbeit zu schreiben, zerlegte der Schreibprozess jegliche Sicherheit. Ich las bis zur Überfülle, meine Literaturlisten schwollen an, meine Seiten blieben aber blank. Es kam mir vor, als würde kein brauchbarer Gedanke aus mir kommen.“

Ich schrieb ganze Seiten voll, um sie im Anschluss wieder ungelesen zu löschen. Damit konnte ich Tage verbringen. Mehrfach habe ich beinahe fertige Arbeiten nicht beendet oder fertige Arbeiten nicht abgegeben, mein Computer ist übersät mit unvollständigen Word-Dokumenten, weil sie mir im Nachhinein unsäglich dumm vorkamen. Von meinen Dozierenden und meinem Umfeld erhielt ich für meine nicht-schriftliche Arbeit positives Feedback und ich hatte Sorge, dass mich die Abgabe meiner schriftlichen Arbeiten als Hochstapler entlarven würde. Ich ging zur psycho-sozialen Beratung der Uni, meldete mich aber nie für einen zweiten Termin, weil ich den Druck des Sprechens über meine unvollständigen Hausarbeiten nicht aushielt.

Das Studieren machte mir Spaß, wurde aber von den Selbstzweifeln beim Schreiben überschattet. Mehrfach überlegte ich, mein Studium hinzuschmeißen, aber die positive Erfahrung, die ich in Seminaren machte, hielt mich davon ab.“

Nachdem ich die Regelstudienzeit überschritten hatte, war ich gezwungen, meinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Mein Umfeld begann damit, Abschlüsse zu machen. Ich nahm immer weniger Neues aus Seminaren mit, die Inhalte begannen sich zu wiederholen und brachten mir für mein eigenes Denken immer weniger. Es stellte sich damit erneut die Frage des Abbruchs, weil die positiven Seiten des Studiums sich verflüchtigten.

Ich entschied mich, eine Freundin einzubeziehen, die nach mir ihr Studium begonnen hatte und zu dieser Zeit ihre Master-Arbeit schrieb. Wir gingen jeden Tag gemeinsam in die Bibliothek. Ich schickte ihr regelmäßig meine Absätze, die ich sonst gelöscht hätte, und sie gab mir direkte Rückmeldungen. Es waren Rückmeldungen, die ich mir selber nicht hätte geben können. Sie halfen mir dabei, die laute Stimme, die „Löschen“ rief, stiller werden zu lassen. Laut den zeitlichen Vorgaben in den universitären Handreichungen brauchte ich immer noch viel zu lang für meine Arbeit, aber nach wenigen Monaten war sie fertig. Ich warf sie in den Briefkasten des Historischen Instituts, ging auf die Toilette, heulte den Druck und die Angst der vergangenen sechs Jahre unerfolgreichen Schreibens heraus und fühlte die Erleichterung und auch die Absurdität dieses Drucks, den ich mir gemacht hatte.

Ich habe das Abgeben meiner Texte in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung beibehalten und habe tolle Freund*innen, die sie lesen und mit mir darüber sprechen. Ich lerne, meine eigenen Texte mit anderen Augen zu lesen, die es zulassen, nicht alles wieder zu löschen. Das Schreiben fällt mir nach wie vor nicht leicht, ich brauche noch immer „zu lange“ dafür, lese zu viel, aber ich traue mich, das Ergebnis abzugeben und danach auch nochmal anzugucken, ohne im Boden versinken zu wollen. Es gibt mittlerweile sogar Momente des Schreibflusses, die sich gut anfühlen.

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