Stress, Entscheidungen und Leistungsdruck im Studium

Tipps einer Psychologin

 © Tim Kramer (RUB)

Die mentale Gesundheit wird heute so öffentlich thematisiert wie nie. Sei es in dem weltweit erfolgreichen Kinofilm „Joker“, durch Personen des öffentlichen Lebens oder durch einen eigens dafür vorgesehenen Tag. Der „World Mental Health Day“ wurde 1992 von der World Federation for Mental Health (Weltverband für mentale Gesundheit) eingeführt, um das Bewusstsein für das Thema zu verstärken. Auch Studienzweifel können langfristig zu erhöhtem Stress und psychischen Beeinträchtigungen führen. Wie man ihnen aus psychologischer Perspektive am besten begegnet und negativen Auswirkungen vorbeugt, erzählt die Psychologin Christina Kuhlmann im Interview.

Christina Kuhlmann gibt folgende Tipps im Umgang mit Studienzweifeln:
1. Nimm deine Gefühle ernst und setzte dich mit deinen Zweifeln auseinander.
2. Für jedes Problem gibt es eine Lösung, es lohnt sich danach zu suchen.
3. Mit einem/-r Ansprechpartner*in sucht es sich leichter.

Weitere Tipps und Informationen einer Expertin zum Thema Studienzweifel, -wechsel und die möglichen psychologischen Auswirkungen finden sich hier im Interview.

Frau Kuhlmann, können Studienzweifel zu Stress führen?

Grundsätzlich ja. Hierbei kommt es auf zwei Komponenten an: Zum einen ist es wichtig, den Auslöser für die Studienzweifel zu finden und zum anderen kommt es darauf an, wie man die Zweifel bewertet. Studierenden, die ihr Studium vorzeitig beenden möchten und beispielsweise keinen finanziellen Druck oder sogar schon eine Alternative haben, fällt der Wechsel oder Abbruch des Studiums oft leichter und geht nicht mit viel Stress einher. Das ist aber nicht der Regelfall; die meisten Studierenden, die wir beraten, haben entweder keinen finanziellen Rückhalt, sind sich unsicher, was ein Wechsel für ihre beruflichen Chancen bedeuten würde oder zweifeln an ihren eigenen Fähigkeiten.

Welche Symptome kann chronischer Stress haben?

Er kann sowohl zu körperlichen, kognitiven sowie sozialen Symptome führen.
Evolutionär gesehen, ist Stress in Gefahrensituationen sinnvoll, da wir unser Umfeld stärker wahrnehmen und so schneller entscheiden können, wie wir handeln. Bei Studienzweifel ist der Stress oft chronischer Natur und somit nicht mehr sinnvoll.
Bei Betroffenen kann man eine angespannte Muskulatur, einen erhöhten Blutdruck und Herzschlag beobachten. Außerdem treten häufig Schlafprobleme und ein unreguliertes Ernährungsverhalten auf. Die Angespanntheit und die Schlafprobleme führen häufig zu Stimmungsschwankungen. Personen sind dann leicht reizbar oder traurig. Diese Stimmungsschwankungen sind auch für vermehrte Konflikte im sozialen Umfeld und den Rückzug aus diesem verantwortlich. Außerdem ist es schwierig, vom Stressthema loszukommen, der Kopf hat dann keine Kapazitäten mehr für andere Dinge.

Welche Auswirkungen kann chronischer Stress haben, wenn nicht dagegen vorgegangen wird?

Unbehandelter chronischer Stress kann zu psychischen Erkrankungen, wie Depressionen, andauernden Erschöpfungszuständen und psychosomatischen Auswirkungen führen.
Bei psychischen Erkrankungen ist der Auslöser selten auf eine Ursache zurückzuführen, es ist zum Beispiel schwer zu bestimmen, ob diese erst durch den Stress der Studienzweifel entstanden ist oder vorher schon vorhanden war.
Stress kann von vielen verschiedenen Faktoren abhängig sein, dabei kommt es sowohl auf die äußerlichen Faktoren, wie Leistungsdruck und Konkurrenz, die finanzielle Situation und die Stabilität des Umfelds als auch auf die innerlichen Faktoren wie die eigene Grundeinstellung und Denkweise an. Ist der Studierende eher positiv oder negativ eingestellt? Werden Misserfolge eher wahrgenommen als Erfolge? All diese Faktoren sind ohnehin immer individuell von der Person abhängig, es gibt kein Schema, nach dem man sagen kann, so entstehen psychische Erkrankungen oder genau diese Ursache führt zu Stress. In der psychologischen Studienberatung arbeite ich natürlich trotzdem mit vielen Studierenden, bei denen Stress im Studium einen Teil ihrer Erkrankung ausmacht.

In Deutschland sind ca. 470.000 Studierende, also mehr als jeder Sechste, von einer psychischen Erkrankung betroffen. Bei den 18- bis 25-Jährigen sind das 38 % mehr als noch im Jahr 2005.
Quelle

Welche Schritte sollte ein/e Studierende*r mir Studienzweifeln als erstes angehen?

  1. Darüber sprechen.

    Es ist wichtig, seine Zweifel auszusprechen, um einen Realitätsbezug herzustellen. Je länger du dich mit dem Gedanken in deinem Kopf auseinandersetzt, desto schlimmer kommt es dir vor. Jemand anderen mit einzubeziehen, kann sehr hilfreich sein. Du bekommst Alternativen aufgezeigt, hörst Erfahrungen und siehst, dass du nicht allein bist. Das hilft mehr, als du denken magst.
  2. Sich bewusst mit den Zweifeln auseinandersetzten.

    Wir neigen oft dazu, unangenehme Situationen vor uns herzuschieben. Am besten ist es deswegen, sich systematisch mit seinem Problem auseinander zu setzen. Häufig hilft es schon weiter, wenn du die Vor- und Nachteile einer Entscheidung abwägst. Denk dran, dass es nie die perfekte Entscheidung geben wird, bei der es keine Nachteile gibt, sonst wäre die Entscheidung schnell erledigt und auch kein Auslöser für eine Stresssituation. Dabei muss daraus natürlich kein Handlungsdruck entstehen, nur weil du dich mit deinem Problem auseinandersetzt, bedeutet das nicht, dass du sofort entscheiden musst, ob du das Studium weiterführen möchtest oder es abbrichst.
  3. Sich selbst reflektieren.

    Du solltest herausfinden, woher die Zweifel wirklich kommen und deine eigenen Gefühle ernst nehmen. Differenziere die Zweifel und überlege, ob sie aus deinen Fähigkeiten, deinen Interessen, deinem Studiengang oder dem Studium im Allgemeinen resultieren. Falls möglich, solltest du die negativen Aspekte verändern und die positiven Seiten ausbauen. Es ist immer wichtig, dass du dir auch deine positiven Lebensbereiche anschaust, daraus kannst du lernen, was dir Spaß macht und wie du deine Zweifel vielleicht überwinden kannst oder wohin deine Zukunft gehen könnte.

Auf welche Indizien können Außenstehende achten?

Studienzweifel äußern sich, obwohl individuell bedingt, oft auf ähnliche Art und Weise. Erscheint ein/e Kommiliton*in nicht mehr in Vorlesungen oder anderen Veranstaltungen in der Hochschule, hat Schwierigkeiten, Übungsaufgaben zu erledigen, zieht sich privat zurück oder hat starke Prüfungsangst, sind das im Regelfall Indizien für Studienzweifel.

Wie kann man weiterhelfen und unterstützen?

Es ist immer ein guter Anfang, das Thema vorsichtig anzusprechen. Bitte nicht aufdrängen und auch respektieren, wenn die Person nicht darüber sprechen möchte. Empathie und Geduld sind die zwei wichtigen Begriffe. Vermittle Normalität und zeige, dass du für die Person da bist, wenn sie darüber sprechen möchte. Für viele Studierende ist es nicht so einfach, über ihre Zweifel zu sprechen, deswegen hilft es im Regelfall, wenn die betroffene Person weiß, dass sie nicht allein ist. Der beste Weg ist es, Interesse zu zeigen, ohne großen Druck auszuüben und auf die (psychologische) Studienberatung zu verweisen.

Was würden Sie einem/r Studienzweifler*in mit auf den Weg geben?

Es gehört dazu. Es ist ganz normal, am Studium zu zweifeln und erst einmal auch kein Grund zur Sorge. Nimm deine Gefühle ernst und nutze die Informationen, die du aus deiner Selbstreflektion gewonnen hast. In der Regel ist es nicht so schlimm, wie es sich anfühlt. Außerdem glaube ich daran, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt und es sich lohnt, danach zu suchen. Mit einem/r Ansprechpartner*in sucht es sich meist noch leichter und du führst dir vor Augen, dass du nicht allein mit den Zweifeln fertig werden musst.
Suche dir Alternativen, überlege dir, ob es am Studium liegt oder eine Ausbildung besser zu dir passt. Vielleicht liegt es auch am Fach und dich interessiert etwas anderes viel mehr? Werde dir zudem darüber bewusst, worin du gut bist und wo deine Stärken und Fähigkeiten liegen, denn sich das in Erinnerung zu rufen, kann auch schon zu Erfolgserlebnissen führen.

Was ist denn, wenn man sein Studium gewechselt hat und es immer noch nicht passt?

Das Risiko ist da.  Aber ist es denn wirklich so schlimm, wie man immer denkt? Der Gedanke, dass man eine Fehlentscheidung treffen könnte, macht vielen Angst. Ob es sich als solche herausstellt, kann man vorher nicht wissen.  Man kann nur Vor- und Nachteile abwägen und die Entscheidung nach bestem Gewissen treffen.
Außerdem sollte man darüber nachdenken, was denn die Alternative wäre. Eine Situation wird nicht einfach so besser, wenn man nichts macht.
Also: Wähle die beste Option unter den Alternativen und wenn es wieder nicht passt, dann sei nicht zu kritisch mit dir und mach dir nicht zu viel Druck, denn die Kosten muss man immer in Kauf nehmen, sonst kommt man nicht weiter.

Studienzweifel wirken häufig schlimmer, als sie sein müssen. Oft hilft es schon weiter seine Zweifel auszusprechen. Falls du nicht mit deinem Umfeld darüber sprechen möchtest, findest du hier die Beratungsangebote in deiner Nähe. Falls du merkst, dass du psychologische Unterstützung brauchst, findest du an deiner Hochschule auch eine psychologische Studienberatung.

Zur Person: Psychologin M.Sc. Christina Kuhlmann absolvierte ihr Psychologie-Studium in Münster und Trier und ihre Weiterbildung zur Psychotherapeutin am Institut für Psychologische Psychotherapie in Bochum. Dort spezialisierte sie sich auf die Therapierichtungen Verhaltenstherapie und Klärungsorientierte Psychotherapie. Seit zwei Jahren arbeitet sie nun in der psychologischen Beratung der Ruhr-Universität Bochum. Diese ist erste Anlaufstelle für Studierende bei Problemen rund ums Studium, psychischen Erkrankungen, die das Studium beeinträchtigen, Krisen, Lernschwierigkeiten, Motivationsproblemen, Ängsten, etc.

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