Traum und Zweifel

„Ich hatte mein Leben lang ein Berufsziel vor Augen, das ich verloren habe.“

Als Kinder wissen wir oft schon ganz genau, was wir später mal machen möchten: Sei es Fußballer*in, Lokführer*in oder Lehrer*in. Für Lena Stolze stand schon früh fest: Sie will Musicaldarstellerin werden. Doch der gewählte Berufsweg ist unsicher und die Branche hart. Was man tut, wenn der eigene Berufswunsch zur Belastung wird und welche Erkenntnisse man auf der Suche gewinnt, erzählt sie in ihrem Erfahrungsbericht….

Das erste von mir und meiner Schwester besuchte Musical war das „Phantom der Oper“. Die Musik fing an zu spielen, die Darsteller*innen tanzten und sangen und ich wurde in eine Welt entführt, die ich nie wieder missen wollte.

Als wir das Theater verließen, sagte ich meiner Mutter, dass ich genau das später machen wollte.“

Mit den Jahren festigte sich dieser Wunsch, ich nahm Klavier- und Gesangsunterricht, spielte im Theater unserer Stadt mit, nahm Tanzunterricht. Musik war meine beste Freundin geworden, sie verstand mich, was auch immer ich ihr erzählte, sie weinte und lachte mit mir, sie verurteilte nie und gab mir Mut.

Als ich meine Gesangslehrerin kennenlernte und diese mich ihrem Chef vorstellte, der eine eigene Musicalshow konzipiert hatte, wurde mein Traum Wirklichkeit. Ich erinnere mich noch gut an meine zitternden Knie, den Adrenalinstoß in meinem Körper, das flaue Gefühl im Magen und den trockenen Hals kurz bevor ich auftrat. Aber als ich sang, fühlte ich mich frei. Ich war glücklich und ich wusste, ich wollte mich nie wieder anders fühlen. Es folgten viele Shows in ganz Deutschland. Die Wochenenden verbrachte ich in Hotels, die Kolleginnen wurden zu meinen Freundinnen und die Schule trat in den Hintergrund. Ich wollte nur noch singen, tanzen und die Welt erobern.

Dennoch wusste ich, dass meine Eltern recht hatten und ich mein Abitur abschließen musste, wusste ich doch um die Unsicherheit dieses Berufsweges. Also wechselte ich die Schule und hatte mein Ziel vor Augen: Abitur und Aufnahmeprüfungen, dann Musicalstudium mit nachfolgender Anstellung im Theater.

Durch gesundheitliche Schwierigkeiten und aufkommenden Druck hinterfragte ich meine Ziele. Ich wurde älter, die Verantwortung mir selbst und anderen gegenüber immer größer. War dies wirklich der Berufsweg, den ich einschlagen wollte? Würde ich mich mein Leben lang beweisen wollen?

Ich absolvierte die Aufnahmeprüfungen und wurde nicht genommen, ich versuchte es auch nicht noch einmal. Ich war mir so unsicher und gleichzeitig brach für mich eine Welt zusammen.

Ich schwebte in einer Leere, aus der ich alleine keinen Weg fand. Ich hatte mein Leben lang ein Ziel vor Augen gehabt, welches ich jetzt verloren hatte.“

Die beste Freundin war für mich zu einer toxischen Freundin geworden, ohne die ich nicht konnte, aber von der ich mich gleichzeitig loslösen wollte. Ich wehrte mich und verlor dabei das Schöne und Heilsame aus den Augen, das Musik für mich bedeutete. Ich war nicht länger frei, sondern einfach nur noch frustriert.

So begann ich mein Studium an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf mit dem Kernfach Germanistik und dem Nebenfach Linguistik.

Ich war so verunsichert, dass mir alles egal war: Wenn kein Musical, dann mache ich eben irgendetwas anderes.“

Ich fand mich in einer fremden Stadt wieder, zu der ich keinerlei Verbindung spürte. Ich kannte niemanden und sollte nun also ein Studium beginnen, welches ich gar nicht machen wollte. Um es ein wenig pathetischer zu formulieren: Mein Traum war geplatzt, alles, was ich dafür getan hatte, schien umsonst.

Linguistik war für mich schrecklich, mir widerstrebte der Gedanke, mich wirklich damit beschäftigen zu müssen. Also wechselte ich mein Nebenfach und besuchte mein erstes Seminar in Musikwissenschaft. Dort fühlte ich mich zu Beginn wohler, hatte ich doch die Hoffnung, meiner besten Freundin – der Musik – wieder ein Stück näher kommen zu können. Zwei Semester später wechselte ich erneut. Ich ersetzte Musikwissenschaft durch Kunstgeschichte. Kunst war immer eine Leidenschaft, obgleich sie nie den Stellenwert erreichte, den Musik für mich hatte. Aber es machte mir Spaß. Ich hatte das Gefühl, wirklich etwas zu lernen, ich musste mich mit Daten, Künstler*innen, Fakten und geschichtlichen Hintergründen beschäftigen. Dieser Zustand besteht bis heute, gleichzeitig weiß ich, dass ich keinen Beruf in diesem Bereich ausüben möchte.

„Wenn mich heute jemand fragt, was ich später machen will, dann bin ich noch immer ratlos. Ich möchte mein Studium beenden, aber ich hänge noch immer in einer Schwebe.“

Durch mein Alter habe ich das Gefühl, bevorstehende Entscheidungen nicht mehr ändern zu können, ich habe das Gefühl, die Zeit läuft mir davon. In unserer Gesellschaft wird man daran gemessen, was man in seinem Leben geschafft hat. Ob man dabei sein eigenes Glück gefunden hat, scheint egal, denn Glück ist relativ. Mir sagte mal jemand: „Glück ist nur ein biochemisches Gemisch, welches sich dein Leben lang nicht großartig ändert. Egal ob Lottogewinn oder Unfall. Dein Glückslevel bleibt langfristig gesehen gleich.“ Ich entgegnete darauf, dass dies eine sehr pragmatische und deprimierende Definition von Glück sei.

Auch höre ich immer wieder einen Satz: „Manchmal muss man eben in den sauren Apfel beißen.“ Da ist etwas Wahres dran, man muss auch lernen, Dinge durchzuziehen, wenn sie gerade nicht angenehm sind. Aber wenn das bedeutet, dass ich selbst auf Dauer den Preis dafür zahle, dann bleibe ich lieber stehen. An Ort und Stelle. Atme durch und schalte einen Gang runter.

Am Ende des Tages müssen wir uns selbst in die Augen gucken können, wir selbst sollten unser Hauptpreis im Lotto sein.“

Also was entgegne ich einer Person, die mich fragt, was ich später beruflich machen möchte? Ich verrate ihr, dass ich meinen Weg noch suche, dass ich ihn noch nicht gefunden habe. Ich erzähle, dass ich überlege ein Studium der Musiktherapie zu beginnen und nebenher meiner Leidenschaft nachzugehen. Ich berichte von meiner Unsicherheit und Angst, meinen „safe place“ erneut zu verlassen und dem damit verbundenen Gefühl der Überforderung, das auch mit meinem derzeit unklaren Gesundheitszustand verbunden ist. Aber ich erzähle auch, dass ich das alles gerne in Kauf nehme, wenn ich dadurch meinem inneren Frieden ein Stück näherkomme.

Umgang mit Studienabbruch und -wechsel des eigenen Kindes
Ratgeber für Eltern

Was geht nur in deinem Kopf vor, Kind?

Zum Blogeintrag
Studienzweifel - der Podcast: Im Gespräch mit der Studienberatung
Podcast

Was erwartet dich in einer Studienberatung?

Zum Blogeintrag
Exmatrikuliert und dann?
Luca Harbord

Exmatrikuliert – und dann?

Zum Blogeintrag
Studienzweifler Jakob
Jakob Ginster

Was, wenn ich nicht gut genug bin?

Zum Blogeintrag
Studienwechsler Antoan
Antoan

Von fremden Worten und Fremdworten

Zum Blogeintrag
Entscheidungsfindung
Tipps von Expert*innen

Komplexe Entscheidungen

Zum Blogeintrag

Wir nutzen Statistik Cookies. Diese erfassen Informationen anonym. Diese Informationen helfen uns zu verstehen, wie unsere Besucher*innen unsere Website nutzen. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.


Einverstanden