Studienabbruch: Ohne Blick auf gesellschaftliche Konventionen

Warum haben so viele Menschen Fragezeichen über den Köpfen? André ist 25 Jahre alt, macht eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement und hat für sich eine Antwort auf diese Frage gefunden. Zuvor probiert er sich in unterschiedlichen Studiengängen aus, versucht es unter anderem mit Wirtschaftspsychologie, Journalistik und Informationswissenschaft und bricht alles ab.

„Was machst du mittlerweile eigentlich?“, ist für mich heute eine der unangenehmsten Smalltalk-Fragen von Leuten, die ich länger nicht gesehen und gesprochen habe. Dieses Gefühl, dass man in seinem Alter beruflich schon viel weiter sein müsste und das Gegenüber einen deswegen vielleicht weniger respektiert. Doch ist diese Angst berechtigt? Ich bin der Meinung, dass diese Angst zwar irrational, aber dennoch in vielen Köpfen präsent ist.

Faktisch lebe ich in einer Generation, in der sich sehr viele junge Menschen orientierungslos und unsicher auf dem Arbeitsmarkt bewegen.

Sie befinden sich kurz vor dem oder frisch im Arbeitsleben oder treiben sich in diversen Studienfächern herum. Ich denke, das liegt daran, dass wir uns in einer sich – durch Technologisierung und Digitalisierung unfassbar schnell verändernden – Zeit befinden und niemand wirklich mithalten kann. Woher soll man denn wissen, ob morgen nicht vielleicht schon dieser oder jener Job nicht mehr gebraucht wird und ein anderer auf einmal das große Ding ist? Dazu kommt, dass wir uns durch die fast grenzenlose Vernetzung mit der Welt gar nicht davor schützen können, uns und unser Leben ständig mit den Anderen zu vergleichen.

Ich bin André, 25 Jahre alt, und befinde mich nun im zweiten Ausbildungsjahr zum Kaufmann für Büromanagement. Warum erst im zweiten Jahr? Weil ich vorher lange der Meinung war, nach dem Abitur müsse man studieren. Dass jemand wie ich – mit einem Abiturdurschnitt von 3,1, relativ wenig Selbstdisziplin und einer unstrukturierten Lernweise – für ein Studium vielleicht nicht gerade prädestiniert ist, wurde mir zur Schulzeit nicht nahegelegt.

Mir und meinen Mitschüler*innen wurde immer wieder suggeriert, wie wichtig ein Studium für den späteren Erfolg ist.

Die Alternative einer Ausbildung wurde, soweit ich mich erinnern kann, kaum bis gar nicht thematisiert. Das Resultat für mein 25-jähriges Ich heute ist: Abbruch des Studiums Wirtschaftspsychologie, Abbruch des Lehrgangs zum Journalisten, Abbruch des Studiums Germanistik, Abbruch des Studiums Informationswissenschaft und Abbruch des Studiums Philosophie. Ehrlicherweise muss dazu gesagt werden, dass einige Studiengänge parallel abliefen. Ist das verschwendete Zeit? Viele potentielle Arbeitgeber*innen haben gesagt: „Ja!“ Mein Lebenslauf sähe so aus, als würde ich nie etwas zu Ende bringen. Ich für meinen Teil konnte trotz meiner anhaltenden Zweifel immer sagen, dass jeder dieser Misserfolge mir Grundlagenkenntnisse vermittelt und meinen Charakter gestärkt hat. Ob es so viel Zeit in Anspruch nehmen musste, darüber lässt sich sicher streiten.

Mittlerweile bin ich durch etwas Glück zu meinem Ausbildungsplatz zum Kaufmann für Büromanagement gekommen. Ich würde lügen, wenn ich sage, ich habe damit meine Orientierungslosigkeit überwunden und bin endlich zufrieden. Aber ich muss nun weniger selbstdiszipliniert zu Hause arbeiten und werde für mein Tun häufig wertgeschätzt. Natürlich fällt mir die Ausbildung auch leichter, weil ich durch mein „Antesten“ unterschiedlicher Studiengänge viele Grundlagenkenntnisse aus verschiedenen Bereichen erworben habe und ich durch mein Alter auch menschlich gereift bin. Allerdings behaupte ich, zwei statt sechs Jahre „Herumtreiben“ hätten auch gereicht.

Ich fühle mich nicht in der Position, jemandem Ratschläge zu geben, da ich selbst noch nicht zufrieden bin. Der gesunde Menschenverstand sagt mir jedoch: Nicht jeder Mensch braucht ein Abitur oder ein Studium.

Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die einem beispielsweise das stundenlange Lernen nahezu unmöglich machen. Dafür können diese Menschen beispielsweise schneller vorankommen, wenn sie jeden Tag praktisch und unter Anleitung im Arbeitsalltag lernen.

Während meines Germanistikstudiums konnte ich jedoch auch erfahren, dass Undiszipliniertheit durch ein starkes Interesse ausgeglichen werden kann. Hätte ich damals nicht ein Zweitfach studieren müssen, das mich überhaupt nicht interessiert, wäre ein Abschluss sicher möglich gewesen.

Ich denke, es ist wichtig, sich über seine eigene Persönlichkeit klar zu werden, gänzlich ohne den Blick auf gesellschaftliche Konventionen. So einfach und elementar das klingt, so schwierig ist es. Das erklärt, meiner Meinung nach, die Fragezeichen über den Köpfen vieler junger Menschen und ich fände es sinnvoll, schon in der Schulzeit ein deutlich höheres Augenmerk auf die Erkundung der eigenen Fähigkeiten und Interessen zu richten.

Umgang mit Studienabbruch und -wechsel des eigenen Kindes
Ratgeber für Eltern

Was geht nur in deinem Kopf vor, Kind?

Zum Blogeintrag
Studienzweifel - der Podcast: Im Gespräch mit der Studienberatung
Podcast

Was erwartet dich in einer Studienberatung?

Zum Blogeintrag
Exmatrikuliert und dann?
Luca Harbord

Exmatrikuliert – und dann?

Zum Blogeintrag
Studienzweifler Jakob
Jakob Ginster

Was, wenn ich nicht gut genug bin?

Zum Blogeintrag
Ratgeber für Eltern

„Mama, Papa, ich breche mein Studium ab.”

Zum Blogeintrag
Studienwechsler Antoan
Antoan

Von fremden Worten und Fremdworten

Zum Blogeintrag

Wir nutzen Statistik Cookies. Diese erfassen Informationen anonym. Diese Informationen helfen uns zu verstehen, wie unsere Besucher*innen unsere Website nutzen. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.


Einverstanden